Ziegers Zeilen (KW 37)
Was eine Brille mit dem Ladepreis zu tun hat und warum ein ehemaliger Automobilmanager wohl nichts gelernt hat
Es wird noch gruseliger. Für die Ampelkoalition? Nein, das wäre zu billig. Für die Elektromobilität. Wir haben mal die Online-Ausgbe der TAZ, der Tageszeitung, durchgeblättert. Als erstes sind wir auf einen Beitrag gestoßen, in dem den Ladesäulenbetreibern vorgeworfen wird, an der Krise der Automobilbranche Schuld zu sein. Das war neu, aber wir können uns das vorstellen. Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur wird dort zitiert. Er hatte der Osnabrücker Zeitung ein Interview gegeben. Sein Vorwurf an die Ladesäulenbetreiber: „Es kann nicht sein, dass man eine stärkere Brille braucht, um an den Ladesäulen den Kilowattstundenpreis erkennen zu können, oder zehn Minuten, um das Kartenmodell zu verstehen.“ Die taz schreibt weiter, dass jetzt tatsächlich Zahl der Neuzulassungen bei Stromern zurückgeht. Das was da an den Ladesäulen vor sich geht ist tatsächlich nicht von schlechten Eltern. Das sollte man genauer unter die Lupe nehmen. Es juckt mich in den Fingern, dieses Argument andersherum zu lesen. Beim Benzin gab es immer einen klaren Preis. Und da hat sogar der Gesetzgeber vorgeschrieben, dass der Preis für den herannahenden Autofahrer klar erkennbar sein muss. Das war die Zeit, in der die Autokonjunktur nicht oft ein Sorgenkind war. Mehr kann man sich denken. Wenn es wirklich hilft, sollte man mal darüber nachdenken, die Bestimmungen über die Preisangaben zu reformieren. Statt § 14 Absatz 2 Preisangabenverordnung sollte man über § 14 der Preisangabenverordnung als gemeinsamen Nenner nachdenken. Ob das die Krise der Stromer bewältigen hilft, weiß man nicht, aber das Zitat ist gut. Es beschreibt die Lage und es erinnert mich an Peter Stöger, den ehemaligen Trainer des 1. FC Köln. »Ich habe dem Linienrichter meine Brille angeboten. Aber auch das hat er nicht gesehen.« Und da hatte der 1. FC Köln gerade ein Heimspiel gegen Hannover 96 verloren.
Die zweite Meldung, die ich gelesen habe, stand in den Badischen Neuesten Nachrichten. Europaweit sind die meisten Stromer in Deutschland zugelassen worden. Deutschland 2023 bei Zulassung neuer E-Autos über EU-Schnitt lautet die Überschrift der Zeitung. Wie es europaweit mit den Presangabe aussieht, wissen wir nicht. Aber wenn es keine Erfolgsmeldung ist, dann ist die Krise der Elektroautos in Deutschland noch nicht so groß wie in den anderen europäischen Ländern. Und dann ist das auch keine Frage der Förderung, denn in vielen europäischen Ländern gibt es die noch. Und zwar über das komplette Jahr 2023 und nicht nur teilweise, wie in Deutschland, wo dann plötzlich der Fördertopf leer war. Was der Beitrag allerdings sagt, wenn man ihn richtig liest ist, dass man neue Fördertöpfe, wenn man sie unbedingt aufmachen will, an andere Kriterien knüpfen sollte. Ein Auto, und das gilt auch für die Antriebsart, wird nur dann in Massen gekauft, wenn es auch angeboten wird. Ein Substitut wird nicht gekauft, auch wenn es gefördert wird.
Eine Zahl fanden wir interessant und die hat nicht direkt etwas mit der Elektromobilität zu tun. „Unabhängig von der Antriebsart verzeichnet Deutschland einen vergleichsweise hohen Anteil sehr neuer Autos. Hierzulande sind 14,8 Prozent der rund 49,1 Millionen Pkw jünger als zwei Jahre. Eine höhere Quote erzielt nur Luxemburg mit 19 Prozent. Besonders viele alte Autos gibt es in Rumänien, Finnland und Estland, wo jeweils jedes dritte Auto älter als 20 Jahre ist.“ diese Zahl sagt allerdings etwas über die Zusammensetzung der Fahrzeugflotte nach 2035 aus. Das macht nachdenklich und müsste unabhängig von allem anderen das Thema synthetische Kraftstoffe nach oben spülen.
Das wäre es für heute, obwohl, kennen Sie Paulus? Der war ein Apostel. Vorher nannte er sich Saulus. Das kommt aus der Apostelgeschichte. Er machte eine Wandlung verbunden mit einer Erkenntnis durch. Der eine oder andere kennt es. Einen neuen Paulus haben wir in Wolfsburg nicht gesichtet. Zitat aus einem Beitrag der Wirtschaftswoche: „Als VW-Chef war Herbert Diess Deutschlands oberster E-Auto-Fan. Nun sagt er, dass sich mit Verbrennern noch lange gute Geschäfte machen ließen.“ Man könnte das ja eine verspätete Erkenntnis nennen, aber es meint etwas anderes. Wer E-Autos verkauft, darf auch Verbrenner verkaufen. Das nennt man Quote. Der Mechanismus setzt darauf, dass es ab irgendeinem Punkt mehr Stromer als Verbrenner gibt. Danach nimmt dann beim Verkäufer der Antrieb zu, weiterhin Verbrenner anzubieten. Das ist ein riskantes Spiel, kann aber funktionieren, wenn man die richtigen Schlüsse darauf zieht. Kein richtiger Schluss ist es, ausschließlich Margen getrieben nur hochpreisige Fahrzeuge anzubieten. Wir haben aus der Geschichte gelernt, dass Luxus nur mit „Brot-und-Butter“ funktioniert. Das war bei Volkswagen früher immer so. Herr Diess wird nicht zum Paulus, weil er die Schuld bei der Politik sucht. „Wenn Sie dem deutschen Verkehrsminister zuhören, dann kaufen Sie doch kein Elektroauto! Dann warten Sie ab. Genau das tun jetzt Millionen Kunden. Darunter leidet die gesamte deutsche Autoindustrie massiv, die Hersteller wie die Zulieferer.“ Das ist billig. Und damit sind wir wieder beim Anfang.
Schönen Sonntag noch
Stephan Zieger