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Ziegers Zeilen (KW 39)

Kennen Sie Sven Regener? Das ist der Frontmann von Element of Crime. Wenn Sie auch die nicht kennen, müssen Sie jetzt noch ein paar Zeilen durchhalten. Sven Regener singt und schreibt. Tolle Musik mit spannenden Texten. Und auch Bücher. Ein Spezialist im Umgang mit Sprache. Eines seiner Lieder dreht sich genau um dieses Thema. Die Klarheit in der Sprache. In einer Kneipe in Berlin macht er sich auf die Suche. Über ihm rattert die U-Bahn vorbei, an dieser Stelle auch Hochbahn genannt. Das tut sie alle vier Minuten. Alle dreieinhalb Minuten kommt – zum Glück – ein neues Bier.

Das regt die Gedanken an. Denn der Autor merkt, dass es irreführend und gefährlich ist, wenn etwas U-Bahn heißt und über den Köpfen rattert. Denn schließlich steht das U für Untergrund. Auch der eingeführte Begriff Hochbahn reicht dem Autor nicht. Denn kurz vor Schöneberg fährt diese Hochbahn in den Abgrund. Und dieser Widersinn treibt den Autor um. Und so überlegt er sich, die Hochbahn unter Schmerzen unter die Erde zu legen. Oder jedenfalls zu sperren.

Denn – und das ist die Schlussforderung des Poeten: „Doch Sprache ist, das wissen wir, das allerhöchste Gut. Und ohne Klarheit in der Sprache ist der Mensch nur ein Gartenzwerg.“ 

Jetzt wissen Sie schon eine Menge von Sven Regener, aber noch nicht, warum wir uns so intensiv mit diesem Text beschäftigen. In Brüssel ist man auf die Idee gekommen, sich mit dem sogenannten Greenwashing zu beschäftigen. Dazu gibt es einen regulatorischen Rahmen. Und der macht Vorgaben und soll am Ende auch Verbote hervorbringen. Die FAZ berichtet dazu: „Die Verhandlungsführer des Parlaments und des Rates einigten sich außerdem darauf, dass Aussagen wie ‚umweltfreundlich‘, ‚biologisch abbaubar‘, ‚klimaneutral‘ oder ‚öko‘ nur noch verwendet werden dürfen, wenn diese Angaben auch nachweisbar zutreffen. Umweltaussagen, die ausschließlich auf der Grundlage von Emissionsausgleichssystemen getroffen werden, werden demnach verboten.“

Mittels einer Umfrage hat die EU Umweltaussagen in der Werbung unter die Lupe genommen. Danach sollen 53,3 Prozent der geprüften Umweltaussagen in der EU als vage, irreführend oder unfundiert wahrgenommen worden sein und 40 Prozent waren danach nicht belegt. Der EU waren vor allem solche Aussagen ein Dorn im Auge, die, so die Ausführungen in dem bereits zitierten Artikel der FAZ, ausschließlich auf der Grundlage von Emissionsausgleichssystemen getroffen werden. Solche Aussagen werden demnach künftig verboten.

Die Kommission sieht in solchen Werbeaussagen einen Wettbewerbsnachteil. Das ist schade. Wer fliegt, wer fährt oder irgendetwas anderes macht, konnte seinen so erzeugten CO2-Fußabdruck über andere Systeme kompensieren. Das eigene Urteil über solche Systeme wird jetzt offiziell durch eine Richtlinie ersetzt. Viele Umweltsiegel, öffentliche oder private, könnten auf diese Art und Weise verschwinden. Wenn die Richtlinie im Herbst dann beschlossen ist, müssen die nationalen Parlamente noch die Umsetzung in die nationale Gesetzgebung beschließen.

Zukünftig wird dann gelten, dass diejenigen, die eine Umweltaussage in ihre Verbraucherinformationen aufnehmen, diese anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse belegen müssen. In einem Beitrag auf der Internetseite der IHK Regensburg klingt das dann so: Mit Ausnahme von Kleinstunternehmen (unter zehn Mitarbeitenden und zwei Millionen Euro Umsatz oder Bilanzsumme) müssten Händler diese Angaben zudem von einer akkreditierten Organisation überprüfen lassen. Und weiter: Es werden zudem keine Werbeaussagen oder Zeichen/Siegel mehr gestattet sein, bei denen die gesamten Umweltauswirkungen des Produkts pauschal bewertet werden, außer dies ist nach EU-Vorschriften explizit so vorgesehen.

Wir sind gespannt auf die nationale Umsetzung. Und Greenwashing klingt ja auch schon irgendwie böse. Grünfärberei, habe ich irgendwo anders gelesen. Klingt fast wie Schönfärberei. Aber die ist ja nicht verboten. Noch nicht. Und wer es übertreibt, stößt bei seinem Konterpart schnell auf den gesunden Menschenverstand. Den regelt keine EU-Verordnung.

Klarheit in der Sprache ist ein wichtiges Gut. Das steht oben bei Sven Regener. Für alles Mögliche. Das gestehen wir gerne ein. Aber dafür eine ganze Richtlinie zu schaffen, das klingt ein bisschen wie Religion. Außerdem unterschätzt man die Menschen. Denn doof sind die meisten ja nun nicht. Früher reichten für solche Aussagen die §§ 1 ff. UWG. Wer sich auf irreführenden Wettbewerb berief, fand darüber vernünftigen und maßvollen Rechtsschutz. Das ging über Wettbewerbsvereine und am Ende über die Gerichte.

Noch einmal zurück zu Sven Regener und seinen wunderschönen Song. Für seine Anstrengung gedanklicher Natur erwartet er keinen Dank und lobt sich auch nicht selbst. In seinem Song bleibt man bescheiden und genügsam und will gar nichts außer vielleicht ein Bier. Vielleicht hätte es das in Brüssel ja auch getan. In Belgien gibt es schöne Biere. Und leider jetzt auch eine Richtlinie.

Aber vielleicht machen Sie es am Wochenende wie Sven Regener. Seine Empfehlung wieder wörtlich, auch wenn es nicht unbedingt in Berlin sein muss:

Lass uns nochmal um die Häuser zieh'n Schonungslos und ohne Hintersinn Willenlos und immer mittendrin An den letzten warmen Tagen in Berlin.

Ihr Stephan Zieger

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